Biedermann und die Borg-Animateure

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Manche Dinge kommen so schleichend, dass man sie erst bemerkt, wenn es zu spät ist. Andere kündigen sich so lautstark an, dass man sie selbst dann nicht wahrnimmt, wenn man schon längst ihr Opfer ist. Mit Biedermann und die Brandstifter hat Max Frisch hierzu ein „Lehrstück ohne Lehre“ g­­eschrieben. Es ist ein Lehrstück über (die) Machtergreifung, aus der wir keine rechte Lehre ziehen können? „Aufhängen sollte man sie! Aufhängen“ kraftmeiert Biedermann, um wenige Augenblicke später, genau diejenigen in sein Haus einzuladen, die er hängen sehen wollte. Am Ende reicht er den Brandstiftern die Zündhölzer, um sein Heim und einen Teil der Stadt niederzubrennen. Wie blöd muss man sein? Hat er denn keinen Verdacht geschöpft? Hätte man nichts tun können? Doch, doch versichert er, aber, so fragt er mit Blick auf den Zuschauer, wann hätten Sie denn etwas getan? „Ab wann hätten Sie denn etwas getan? Ab wann genau?!“ (1:00:20 ff.) Insbesondere wenn man wie Biedermann aus guten, reichlich eigennützigen Gründen auf Deeskalation setzt und beim ersten Funkenflug sich flehentlich an den Heiligen Florian wendet: „Verschon unser Haus, zünd‘ andere an“. Der Zuschauer bleibt die Antwort schuldig. Ihm ist das Frischsche Lehrstück vielleicht auch etwas zu konstruiert. Zu leicht scheint es den Brandstiftern zu fallen, sich ihre Opfer gefügig zu machen. Kann das wirklich so geschehen?

Max Frisch um 1974 – Wikimedia

Seit einigen Jahren scheint das Stück wieder an Interesse zu gewinnen. Gleich an einigen deutschen Schauspielhäusern hat man es seit 2017 wieder ins Programm genommen. Machtergreifung? Ach so, ja, denken wir. Links liberale Theatermacher warnen uns, um unseren Frieden besorgt, vor Unterschätzung der neuen Rechten, Pegida, AfD und so. Der brandstiftende, arbeitslose Ringer Schmitz wird deshalb gern als Bomberjacke und Springerstiefel tragende Glatze gegeben, sein Komplize Eisenring, der Kopf des Anschlags, als gewandter Parteifunktionär dargestellt. Ist es also schon wieder mal so weit? Nein, Antifa hat aufgepasst. Vorsicht, Vorsicht, heißt es dann, nicht dass uns die Gaulands und Höckes, die neuen Beatrixen und wundersamen Alicen, als Wölfe im Schafsfell überraschen!

Das Frischsche Lehrstück freilich geht anders. Die Wölfe tarnen sich dort nicht als harmlose Schoßhündchen. Es wird nicht auf Schaffell oder sanfte Pfoten gesetzt. Die Frischschen Brandstifter täuschen nicht durch Verstellung; sie täuschen durch Wahrheit: „Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.“ Als Biedermann den Brandstiftern versichert, dass er sie keineswegs für Brandstifter hält, antworten die beiden verwundert: aber das sind wir doch!? Brandstifter. Auf die Frage, ob sie Faschisten seien, müsste die neue Rechte also antworten: ja klar, ihr braucht nicht um die Ecke denken oder groß zu analysieren. Wir sind faschistische Antidemokraten und überzeugte Antisemiten. Die apokalytischen Reiter wollen sich nicht als brave Pilger tarnen. Das wäre wirklich lächerlich und unter ihrer Würde.

Viel besser als auf die braune Gefahr passt das Frischsche Lehrstück auf eine neue Bedrohung, eine die keinen Hehl aus ihren Absichten macht und die längst in unsere Häuser eingezogen ist. Nicht in den Dachböden sammeln sie mühsam ihren stinkenden Brennstoff. Sie haben sich längst in den Wohnstuben und Kinderzimmer eingenistet, in unser Innerstes und unsere Köpfe. Sie werden von uns für teuer Geld eingeladen. Wir stellen uns in langen Schlangen an, von ihnen in Brand gesetzt zu werden. Biedermann lud seine Brandstifter zu einem deftigen Gansbraten ein. Wir überweisen ihnen monatliche Raten und jagen ihnen mit viel Engagement nach. Es sind die „vier apokalyptischen Reiter“ des Silicon Valley (A. Keen, Fix the Future, 2018): Google und Apple, Facebook und Amazon. Software eats the world. Please eat me, first. My flat rate is best. Eat me! Enjoy your meal!

Widerstand ist zwecklos! – Wikimedia

Alljährlich findet in München eine IT-Konferenz statt, die die neuesten Entwicklungen in Softwareentwicklung und beim Einsatz von IT-Technologie reflektiert. 2014 hat einer der Helden der Entwickler-Gemeinde, Martin Fowler, an die versammelten Programmierer appelliert, sich nicht korrumpieren zu lassen. Mit dem Schlachtruf „Not just Code Monkeys“ sollten die Entwickler sich gegen den Missbrauch durch die tyrannische Macht der „apokalytischen Borg-Reiter“ stellen. 2019 stand die IT-Konferenz unter dem Motto: Care for the Future  Von Rebellion, war dabei nicht mehr die Rede. Wir wollten uns nicht mehr abwenden und nichts mehr abwehren. Die Brandstifter wurden gerufen und haben sich nicht versteckt. Also hat Amazon den Entwicklern ganz unverhohlen signalisiert: Denkt nicht mehr über Künstliche Intelligenz nach. Wir haben sie. Schließt Euch an. – Wir, die Teilnehmer, haben das dann mit zwei Code-Zeilen und einigen Parametrisierungen getan. – Wir nutzen unsere Kunden-Daten, bekennen die Borgs, wir beuten sie aus und assimilieren sie, so lange sie uns nutzen. Also: Werdet unsere Kunden. – Widerstand ist zwecklos. – Und Alibaba hat sich auch präsentiert. Noch mächtiger. Ihr kommt in den größten Markt der Welt nur durch uns. Wir haben abgeschlossen. Wir schließen für Euch auf, wenn ihr zu uns kommt. Ansonsten holen wir Euch. Widerstand ist … Ihr könnt‘ natürlich versuchen, Euch zu verstecken. Hihihi. Ihr seid ja Schlauerle, gell? Hihihi. Nicht vergessen: es sind unsere Algorithmen. Wer an uns glaubt, gewinnt. Wer nicht, nutzt uns. – Für jeden gab’s dann noch ein Google Home. Es dient vermutlich hauptsächlich dazu, den Glauben zu schaffen, dass vor allem in diesem Device die Gefahr bestehe und man es ja abschalten könnte. Wir sind ungefährlich, denn ihr könnt‘ Euch ja verweigern und es ausschalten. Stellt es einfach vor einen großen Magneten und Euch selbst in einer Bleiweste in einen strahlensicheren Bunker. Hihihi. Und dann googled weiter … Ach ja und da gab‘ es noch – auch als Werbe-Geschenk – ein kleines Schiebe-Plättchen, das man über die Web-Cam des Notebooks kleben kann. Damit kann man den Zugriff selbst regulieren. Ihr seht, ihr seid frei. Und stimmt schon, den Betriebssystemen kann man nicht trauen. Aber uns. Von uns kommt die Freiheits-Klebe-Hardware. – Cool, unsere Antifa ist sicher. Wir schieben das Plättchen einfach vor. Das soll helfen. Ich hab’s gegoogled.

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