„Alles begann mit einer Lüge“

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Wer das Völkerrecht bricht braucht eine gute Geschichte. Gute Geschichten müssen nicht unbedingt wahr sein. Gute-Nacht-Geschichten z.B. sind gut, wenn sie einschläfern und die Kinder in eine ruhige Nacht gleiten lassen. Man erzählt ihnen Dinge, die sie schön finden und die träumerische Phantasie anregen. Andere Geschichten sollen erregen und aufwühlen und zum Handeln motivieren. Bei völkerrechtswidrigen Handlungen, da braucht man Geschichten von humanitärer Hilfe gegen böse Mächte und Männer. 

Aus Humanität gegens Völkerrecht, das hört sich nach einer spannenden Geschichte an, die Helden fordert. Sie ist freilich schon oft erzählt worden: beim Vietnam-Krieg z.B. oder bei der Invasion Kubas, beim Krieg gegen Irak, Syrien und Afghanistan. 1999 ist sie gegen Serbien erzählt worden. 50 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik ging Deutschland wieder in den Krieg, in einen völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Krieg. Ohne ausdrückliches UNO-Mandat darf kein Land der Welt militärisch angegriffen werden. Ein solches Mandat gab es nicht. Das Grundgesetz verbietet nicht nur die Beteiligung an, sondern bereits die Vorbereitung von Angriffskriegen (Art. 26).

 

Ein völkerrechts- und grundgesetzwidriger Krieg ist nicht leicht zu erklären. Fischer und Scharping schafften das. Sie mussten dazu aber groß auftragen. Dass es dabei nicht immer mit der reinen Wahrheit zuging, legt der Titel einer WDR-Dokumentation aus dem Jahre 2001 nahe: „Alles begann mit einer Lüge“. Was inzwischen für Vietnam, Irak und Syrien gut belegt und für Afghanistan sehr wahrscheinlich ist, das scheint in gewissem Sinne auch für den militärischen Einsatz gegen Serbien zu gelten: die Rechtfertigung des Krieges stützt sich auf Lug und Trug. 

 

Ein Blick zurück auf 1999

Es herrscht Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien. Er wird von beiden Seiten unerbittlich geführt. Und es kommt wieder zu Kriegsverbrechen. Für Serbien hat der Kosovo eine fast mythologische Bedeutung, vor allem aber droht ein weitere Schwächung Serbiens. Deshalb wird von den Serben vermutlich mit rücksichtsloser Konsequenz gekämpft. Auf der Gegenseite steht die UCK, die Befreiungsarmee des Kosovo, die insbesondere von den USA ausgestattet und unterstützt wird. Es steht außer Frage, dass insbesondere Leute wie Slobodan Milošević oder Radovan Karadžić und die paramilitärischen serbischen Kampfverbände keine Sympathien verdienen. Der Westen hat sich deshalb von Anfang an auf die Seite der um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Teil-Staaten des alten Jugoslawien gestellt. Dafür mag es gute Gründe geben –  jenseits des westlichen, geopolitischen Interesses, den Osten á la divide et imperat weiter zu schwächen. Die Frage ist allerdings, ob man daraus Gründe für einen völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Kriegseinsatz gewinnen kann. Das kann auch gegenüber einer immer noch kritischen Öffentlichkeit nicht ohne weiteres begründet werden – von deutschen Boden sollte schließlich nie wieder ein Krieg ausgehen. Deshalb musste man zu starken Vergleichen greifen: Fischer und Scharping warfen den Serben Völkermord vor und verglichen das Geschehen mit Ausschwitz. Um das zu belegen, wurden insbesondere zwei Ereignisse theatralisch und medienwirksam herausgestellt – Rudolf Scharping der damalige Verteidigungsminister ringt mit den Worten und seiner Fassung als er auf einer Pressekonferenz „Beweis-Fotos“ eines Massakers zeigt, das in Račak stattgefunden haben soll. Im Stadion von Pristina soll darüber hinaus ein serbisches Konzentrationslager errichtet worden sein, in dem 100.000 Albaner zur „ethnischen Säuberung“ zusammengetrieben wurden. Neben den Flüchtlingsströmen, die all überall zu sehen waren und die als albanische „Vertriebene“ gewertet wurden, waren das die beiden Auslöser für das umgehende Eingreifen der NATO. 

Inzwischen ist unbestritten, dass es im Stadion von Pristina nie ein Konzentrationslager gab. Vieles deutet darauf hin, dass das Massaker von Račak, kein Massaker, sondern die dort durch OSZE-Kräfte zusammengetragenen Leichen Opfer eines Gefechts zwischen UCK und serbischen Verbänden waren, das in direkter Nähe stattgefunden hatte. Insbesondere zwei deutsche Zeugen haben dem Verteidigungsministerium umgehend ihre Eindrücke geschildert. Einer der beiden war ein Polizeibeamter, der als OSZE Mitglied überhaupt als erster am „Tatort“ war und der in seinem Bericht klar formulierte, dass es sich um das Ergebnis von Gefechtshandlungen handelte. Sie waren verblüfft, was sie dann von Rudolf Scharping in der Pressemitteilung hören mussten und versuchten daraufhin ausdrücklich die  verbreiteten Fehlinformationen zu korrigieren. Auch das Verteidigungsministerium wusste offenbar um die eigentliche Sachlage: im geheimen Lagebericht hieß  unter „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch: Am 29. Januar ’99 wurden in Rugovo bei einem Gefecht 24 Kosovo-Albaner und ein serbischer Polizist getötet.“

Auch die Flüchtlinge flüchtete vor allem vor den Kämpfen wie das in jedem Kriegsgebiet festzustellen ist. Die Albaner vor den vorrückenden Serben und die Serben vor der vorrückenden UCK. Eine ethnische Säuberung war da nach Einschätzung der deutschen OSZE-Beobachter nicht zu erkennen – ob die im Sinne von vielen serbischen Nationalisten gewünscht war, halte ich grundsätzlich für möglich, ist aber eine andere Frage.

Wie drückt es der Freitag aus: „Wie die Nato Tatsachen verfälschte und Fakten erfand„?! Das alles wurde von Fischer und Scharping mit Vergleichen von Auschwitz, Massen- und Völkermord belastet, die damals wohl noch erlaubt waren, weil der guten Sache dienend, heute allerdings als rechtsradikal gelten, weil damit die Opfer die Verbrechen der Vergangenheit verharmlost würden.

Kritik an der Kritik

Der Beitrag des durchaus renommierten WDR Teams wurde dann gerade von Verfechtern des Angriffskriegs einer heftigen Kritik unterzogen. Die beiden lautesten Stimmen in der F.A.Z. und – na Sie ahnen es schon ? – dem Spiegel gehen mit Ihrer Kritik an der selektiven Berichterstattung des Beitrags freilich an der Kritik des Doku-Autoren vorbei. Es geht nicht um die Frage, ob es andere serbische Grausamkeiten geben hat und ob die Parteinahme für die UCK nicht politisch und menschlich richtig gewesen sei. Es geht schlicht um die Frage, ob die für die Rechtfertigung des NATO-Angriffs mit aktiver deutscher Beteiligung unter Nutzung von Bildern von vermeintlichen Massakern, Konzentrationslagern und zehntausenden ethnisch Vertriebenen stichhaltig sind oder… gefaked. Gefaked wie der Tomkin-Zwischenfall, die Massenvernichtungswaffen Sadam Husseins oder der Giftgaskrieg Assads – ganz zu schweigen von der ungeheuerlichen, abscheulichen Brutkastenlüge, die den zweiten Golfkrieg rechtfertigen sollte. 

Die Kritiker des WDR Beitrags weisen zwar auf andere Dinge hin, die im Beitrag nicht auftauchen und das Vorgehen der Serben anders beleuchten würden; sie können aber nicht zeigen, dass irgendetwas falsch berichtet worden wäre. Die Tatsachen wurden verfälscht, „Fakten“ erfunden, Propaganda betrieben und die öffentliche Meinung so manipuliert, dass ein völkerrechts- und grundgesetzwidriger Angriffskrieg mit deutscher Beteiligung möglich wurde. Dem grünen Fischer und dem „roten“ Scharping sei Dank. Und der Qualitätsmedien, die all das mitgemacht, befördert und angestachelt haben. In Vietnam, in Irak, Afghanistan und Syrien und eben auch in Jugoslawien. 

Der Philosophische Blick

Beitrag von Olaf L. Müller

Mich hat eine Arbeit des Berliner Philosophie Professors Olaf L. Müller wieder auf dieses Thema gebracht. Ich war durch Zufall auf ihn gestoßen. Er widmet sich in einer Arbeit, der Frage: „Was wissen Sie über Kosovo?
Fallstudie über Pazifismus, Propaganda und die Verquickung von Fakten mit Werten
“ (2004) und kommt zu einer erstaunlichen Antwort. Vieles spricht dafür, dass mit Propaganda der „humanitäre“ Feldzug begründet wurde, die durch die Tatsachen nicht belegt werden kann. Aber er geht einen entscheidenden Schritt weiter. Selbst wenn wir unterstellen, dass die Frage nach Fakt oder Fake nicht abschließend geklärt werden könnte, ist der „humanitäre Krieg“ nicht begründbar und von vornherein als propagandistisch zu entlarven. 

Ich kann dem, der unserer Politik und ihrer Kontrolle durch Qualitätsmedien völlig vertraut, den Film von Jo Angerer und Mathias Werth nur empfehlen. Er macht einen hellhörig, selbst wenn er nicht die ganze Wahrheit ist. Wer sich den nochmals befragten Scharping genau ansieht, der kann meine ich „spüren“, dass da etwas nicht stimmt. 

Aber wie könnte es anders sein, vor allem sei die Studie von Olaf L. Müller empfohlen. Ich jedenfalls werde noch einiges von dem mir bisher Unbekannten lesen – eines seiner Bücher ist bereits bestellt!

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